Wissenschaftliche Begleitung der Fachdialoge im Projekt

Die Diskursanalyse ist ein qualitativer Forschungsansatz, der insbesondere in den Sozial- und Sprachwissenschaften Anwendung findet. Gerade im Bereich umweltpolitischer Problemlagen und Konflikte hängt deren weiterer Verlauf stark von Lernprozessen der beteiligten Akteure ab, so dass sich dieses Instrumentarium anbietet, um unterschiedliche Problemverständnisse von Interessengruppen zu beschreiben.

Das Untersuchungsinteresse des Projekts
befasst sich vor allem mit:


  • dem Aufzeigen von Konfliktlinien zwischen den einzelnen Akteursgruppen
  • der Begleitung des Diskursverlaufs
  • dem Aufdecken von Veränderungen der Diskurskonstellation

Erforscht werden sollen Verschiebungen im Kräfteverhältnis unterschiedlicher Diskursstränge sowie das eventuelle Auftauchen neuer Argumente. Dabei erfolgt eine Konzentration auf den Diskurs in der Aktion. Das Instrument der Diskursanalyse wird hier auf die im Laufe des Projekts stattfindenden Fachgespräche fokussiert und die beteiligten Interessengruppen wie Vertreter der Jägerschaft, Umweltverbände, Munitionsindustrie, Munitionshandel, Waldbesitzer sowie außerdem staatliche Stellen.

Im Ergebnis stellt die Diskursanalyse ein wichtiges Instrument dar:

  1. für die wissenschaftliche Dokumentation im Forschungsprojekt,
  2. für die Klärung der zentralen Positionen zu Ursachen der Bleikontamination und zu den Handlungsmöglichkeiten der beteiligten gesellschaftlichen Akteure
Die Diskursanalyse unterstützt insofern auch die fachlichen Dialoge, die seitens des Projekts als Informationsplattform und Raum für Kompromissmöglichkeiten angeboten werden.

Diskursfeld


  • Untersuchungsgegenstand
    Ursachen von Bleivergiftungen bei Greifvögeln

  • Quellen
    Aufzeichnungen und Protokolle zu Äußerungen gesellschaftlicher und staatlicher Akteure
  • Diskursstränge
    • Jägerschaft
      Schlüsselwörter: Rolle/Verantwortung – Kommunikation – Berücksichtigung von Empfindsamkeiten
    • Jagdverhalten
      Schlüsselwörter: Umgang mit den Aufbrüchen – Umgang mit (rechtlichen) Auflagen
    • Bleifreie Munition
      Schlüsselwörter: Tötungswirkung – Toxizität – Anforderungen – Angebot und Nachfrage – Preis
    • Recht/Politik
      Schlüsselwörter: Maßnahmen – Novellierung des Jagdgesetzes – Verbot bleihaltiger Munition – Kontrolle – Internationale Konventionen/EU-Konventionen
    • Information/Kommunikation: Aufklärung
    • Biodiversität
      Schlüsselwörter: Tierschutz – Artenschutz – Waidgerechtes Töten – Internationale Konventionen
    • Wissenschaft
      Schlüsselwörter: Ursachenforschung und Transfer – Manifestation der bisherigen Ergebnisse zu Todesursachen von Greifvögeln – Gewährleistung tierschutzgerechter Tötung durch bleifreie Munition
    • Ökotoxikologische Risiken
      Schlüsselwörter: Gefährdung aasfressender Vogelarten – Belastung des Waldbodens
    • Verbrauchergefährdung
      Schlüsselwörter: Bleirückstände in Wildbret


Für den Diskursstrang bleifreie Munition sollen beispielhaft Ergebnisse vorgestellt werden.

Umweltverbände

Problemsicht:
Die Umweltverbände betrachten die postulierten Anforderungen an bleifreie Munition als extrem hoch. Die Vorgaben von Seiten der Jägerschaft sowie die Diskussion um (angeblich) höhere Preise sind letztlich nur vorgeschobene Argumente, nicht zu handeln. Da bleifreie Munition ebenso tierschutzgerecht tötet wie die bisherige bleihaltige Munition, fordern die Vertreter ein gänzliches Verbot jeglicher Zerlegungsgeschosse.

Lösungsmöglichkeiten:
Da es von Seiten der Munitionsindustrie keinerlei Unterstützung gibt, etwa in Form einer Ankurbelung der Nachfrage, liegt die Verantwortung letztlich bei den Jägern und staatlichen Akteuren.

Jagdverbände

Problemsicht:
Den Vertretern der Jägerschaft fehlt es immer noch an überzeugenden Beweisen hinsichtlich der Unbedenklichkeit bleifreier Munition. Weitere Tests werden gefordert, da eventuelle Alternativen lange Bestand haben müssen. Beklagt wird auch der hohe Preis der Alternativmunition. Man spricht sich gegen ein Verbot bleihaltiger Munition aus, da eine Kontrolle nicht zu gewährleisten ist. Dennoch wird man sich wohl vom Blei verabschieden müssen.

Lösungsmöglichkeiten:
Zum einen muss die Munitionsindustrie die Nachfrage fördern, zum anderen sollten die Jäger allmählich an die neue Situation herangeführt werden. Angebote wie Einschießen mit neuer Munition können hierbei behilflich sein.

Ökologischer Jagdverband

Problemsicht:
Der Ökologische Jagdverband (ÖJV) teilt die Haltung der Umweltverbände. Auch für ihn sind die Argumentationen, die von den Jagdverbänden und der Munitionsindustrie aufgeführt werden, eher Schutzbehauptungen und Scheindiskussionen, um ein Handeln hinauszuzögern. Aus Sicht des ÖJV verhalten sich insbesondere die Jagdverbände reaktionär. Weder Jägerschaft noch Munitionsindustrie wollen Verantwortung übernehmen.

Lösungsmöglichkeiten:
Die Munitionsindustrie könnte über das Prinzip der Produkthaftung zu schnellerem Handeln bewegt werden. Zugleich wird angeregt, die Pachtbedingungen der Landesforste mit der Vorschrift zu bleifreier Munition zu verknüpfen. Aufgrund mangelnder Bereitschaft der Jäger und Munitionsindustrie ausreichend zu handeln, wird man ein Verbot nicht vermeiden können.

Tierschützer

Problemsicht:
Die Haltung der Tierschützer zu einem eventuellen Verbot bleihaltiger Munition ist individuell unterschiedlich. Die einen treten dafür ein, schon jetzt ein Verbot auszusprechen, für andere ist die Zeit noch nicht reif. Die Vertreter beklagen ein Defizit an Informationen vor allem hinsichtlich der Klärung unterschiedlicher Vergiftungsfallzahlen in den betroffenen Bundesländern sowie der Auswirkungen auf Jagdmethoden.

Lösungsmöglichkeiten:
Man plädiert dafür, die Jäger, nach Auswertung von Feldversuchen mit alternativer Munition, allmählich an bleifreie Munition heranzuführen.

Munitionsindustrie

Problemsicht:
Die Vertreter der Munitionsindustrie wehren sich gegen ein Verbot von Zerlegungsgeschossen. Das Urteil der Umweltschutzverbände ist zu pauschal. Blei ist immer noch das ballistische Optimum. Deformationsgeschosse sind nicht tierschutzgerecht. Eine verminderte Tötungswirkung zugunsten geringerer Toxizität ist nicht akzeptabel. Zur Zeit rechnen sich neue Produkte weder für die Industrie noch für den Handel.

Lösungsmöglichkeiten:
Man erwartet, dass die wissenschaftliche Untersuchung der Eigenschaften und Auswirkungen alternativer Munition vorankommt und Impulse für die Produktion liefert.

Staatliche Akteure

Hinweis: Es handelt sich hier nicht um offizielle Stellungnahmen von Behörden, sondern um Einschätzungen zum Kenntnis- und Diskussionsstand.

Problemsicht:
Ein Verbot bleihaltiger Munition allein reicht nicht aus. Die Anforderungen der staatlichen Akteure an alternative Munition werden bewusst hoch angesetzt. Bleifreie Munition muss nicht nur toxikologisch ungefährlich für Umwelt, Tier und Mensch sein, sondern auch eine optimale Tötungswirkung gewährleisten.

Lösungsmöglichkeiten:
Eine Verbesserung der Verkaufspolitik ist von Nöten. Die Nachfrage nach bleifreier Munition muss durch einen Strauß an Maßnahmen gefördert bzw. erzeugt werden. In der Kommunikation mit den Jägern sollten positive Wege aufgezeigt werden, so dass Ängste abgebaut werden.

 

Konsens und Konfliktlinien nach dem 1. Fachgespräch am 26.03.2007

Die skizzierten unterschiedlichen Positionen zeigten sich einerseits während des Fachgesprächs, andererseits in früheren öffentlichen Stellungnahmen der Verbände. Im Verlauf des von der FFU und dem IZW organisierten Fachdialoges stellte sich jedoch heraus, dass dennoch ein gemeinsamer Nenner identifiziert werden konnte: 

Alle Beteiligten sind sich letztlich einig, dass Handlungsbedarf besteht und dass das Blei über die Aufnahme von Munitionsresten in den Körper der Tiere gelangt. Dies bedeutet, es gibt

  • Konsens über Ursache und Wirkung von Bleimunition
  • Konsens über anstehenden Handlungsbedarf

Inwieweit diese Einschätzungen von den beteiligten Verbänden auch wirklich mit getragen werden, muss sich noch zeigen. Zu möglichen Hindernissen wie Handlungspotenzialen in Richtung Minimierung der Bleibelastung in Ökosystemen und insbesondere bei Greifvögeln soll ein zweites Fachgespräch u.a. Aufschluss geben.
Zwei Konfliktpunkte beispielsweise, die während des ersten Dialogs einen breiten Raum eingenommen haben und unter den Interessengruppen nach wie vor konträr sowie mit nahezu den gleichen Argumenten wie seit Aufkommen der Problematik diskutiert werden, sind:

  • Zentraler Konflikt I: Anforderungen an alternative Munition: Sind sie zu hoch im Vergleich zur herkömmlichen bleihaltigen Jagdmunition?
  • Zentraler Konflikt II: Gesetzliche Regelung: Ist ein Verbot sinnvoll und der richtige Weg?

 

2. Fachgespräch am 05.05.2008

Auch das 2. Fachgespräch wurde wissenschaftlich verfolgt und ausgewertet. Eine diskursanalytische Einschätzung der Ergebnisse wird in Kürze verfügbar sein.

Es lässt sich feststellen, dass die zweite Gesprächsrunde als Katalysator auf dem Weg zu einer Lösung der Bleiproblematik bei Greifvögeln betrachtet werden kann. Dabei manifestieren sich die Resultate der seit 2005 eingeleiteten Dialogprozesse (noch) nicht in der Umstellung auf bleifreie Munition oder gar in Form von gesetzlichen Regelungen, Veränderungen in der Einstellung sind aber doch deutlich spürbar. Nicht nur die Resonanz in der Öffentlichkeit, speziell in der Tagespresse, hat zugenommen und deutet somit auf mehr Sensibilität für das Thema hin, auch innerhalb der Jägerschaft geraten starre Positionen zumindest in Bewegung. Erkennbar ist jedoch, dass der Zeithorizont bis zu einer endgültigen Klärung von den einzelnen Akteursgruppen noch unterschiedlich definiert wird.