Diskussion

An dieser Stelle besteht die Möglichkeit die Ergebnisse der Tagung und des Fachgespräches von 16-17.4.2009 und des Projektes zu diskutieren.

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Erwiderung zum Thema „Seeadler: Bleierne Feindbilder“, „unsere Jagd“ 6/2009

Eine Enttäuschung auf ganzer Linie erlebte der Leser „unserer Jagd“ bei der Lektüre der Beiträge des Chefredakteurs Ralf Stephan (Editorial) und Herrn Elisons zur Seeadlertagung und zum Fachgespräch am 16./17. April 2009 in Berlin. Wer an dieser Veranstaltung nicht teilnehmen konnte, an einem objektiven und sachlichen Bericht über die Vorträge und Diskussionen jedoch interessiert ist, dem sei empfohlen, „unsere Jagd“ beiseite zu legen und auf andere Beiträge zurück zu greifen, z.B. den Bericht von Dr. Jungmann (Vizepräsident des Landesjagdverbandes MV) in „Weidwerk in Mecklenburg-Vorpommern“. 
Ungeachtet dessen, dass die Beiträge in „unserer Jagd“ durch zahlreiche polemische Seitenhiebe auf imaginäre „Naturschutz“-Feindbilder in ihrer stilistischen und journalistischen Qualität eher peinlich sind und insgesamt ein Bild der Veranstaltung zeichnen, welches von der Mehrzahl der Teilnehmer ganz sicher so nicht bestätigt wird, bedürfen die Darstellungen doch einer Erwiderung.
Natürlich wissen wir alle, dass die Seeadlerpopulation wächst – und dies ist auch ganz gewiss ein Grund zur Freude. Allein – ein Grund, „sich entspannt zurückzulehnen“ ist diese Tatsache nicht. Denn noch immer sterben etwa 70 % der Seeadler in Deutschland durch anthropogene Faktoren. Vergiftungen durch bleihaltige Geschossreste sind mit einem Anteil von 25-30 % gegenwärtig die Todesursache Nr. 1 des Seeadlers. Und dies nicht nur in Deutschland -  Untersuchungen in Schweden, Finnland und Japan zeichnen ein ähnliches Bild und weisen darauf hin, dass es sich hier um ein globales Problem handelt. Die hohen Todesraten durch anthropogene Faktoren verhindern zwar nicht die Zunahme der Seeadlerpopulation, haben aber – und dies wurde auf der Tagung fundiert dargestellt – einen Einfluss auf die Geschwindigkeit der Bestandserholung und Wiederausbreitung. Die Aufgabe des Naturschutzes besteht nicht in erster Linie darin, bedrohte Tierarten durch besondere Schutzmaßnahmen zu retten, sondern
- „die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts“ und
- „die Tier- und Pflanzenwelt einschließlich ihrer Lebensstätten und Lebensräume“
zu sichern (§ 1 BNatSchG).
Eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Naturhaushalte liegt zweifelsohne bereits vor, wenn sich die Population einer Tierart aufgrund anthropogener Faktoren schlechter entwickelt als sie es ohne diese täte – nicht erst, wenn eine Population abnimmt. Der gesetzliche Auftrag des Naturschutzes verfolgt ganz klar einen Vorsorgeansatz – Gefahren für die Natur, die Pflanzen- und Tierwelt sind, sobald sie erkannt sind, so weit wie möglich zu vermeiden oder abzustellen. Die Bestrebungen des Naturschutzes, einschließlich großer Teile der Jägerschaft, zur Umstellung auf bleifreie Munition folgen genau diesem gesetzlichen Auftrag. Das gemeinsame Ziel von jagenden und nicht jagenden Naturschützern ist dabei eine umweltgerechtere Jagd. Die von Herr Stephan in seinem Beitrag unterstellte „Kampagne gegen die Jagd“ konnte ich indes weder auf der Tagung in Berlin noch auf anderen Veranstaltungen zum Thema „bleifreie Jagd“ feststellen.
Das im Editorial angeführte Argument möglicher, noch unbekannter toxischer Risiken alternativer Munition wurde zwar auch im Fachgespräch vorgetragen. Es fehlt ihm allerdings die Überzeugungskraft: Die Fachvorträge befassten sich durchaus mit der Frage der Toxizität möglicher alternativer Werkstoffe und zeigten, dass diese um Zehnerpotenzen geringer ist als die von Blei. Zu den Risiken von Bleigeschossen für den Menschen erfuhren die Teilnehmer der Tagung hingegen folgende Fakten:

  1. der Bleikern bleihaltiger Geschosse zerlegt sich im Tierkörper und entfaltet eine sehr große Streuwirkung; die Folge ist eine hochgradige Belastung von Wildbret durch Bleipartikel, die auch durch großzügiges Ausschneiden des Schusskanals nicht immer zu vermeiden ist (s. z.B. „Berichte zur Lebensmittelsicherheit 2007“ des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit).
  2. Blei ist – anders als Kupfer – kein essentielles Spurenelement im menschlichen Körper. Es hat bereits in geringen Konzentrationen Auswirkungen auf die Funktion des Nervensystems. Es gibt keine „unschädliche Dosis“.
  3. Bleibelastung führt bei Kindern zu einer Absenkung des IQ und der Reaktionsfähigkeit.   

Sicher sind auch hinsichtlich der Toxizität der alternativen Munition noch nicht alle Fragen geklärt. Aber Hinweise auf besondere toxische Risiken gibt es aus den vorhandenen Kenntnissen nicht. Angesichts der nachgewiesenen Toxizität von Blei für Tiere und Menschen erscheint eine hypothetische Toxizität bleifreier Munition als Argument gegen eine Umstellung auf bleifreie Munition geradezu zynisch.
Zu widersprechen ist auch der Behauptung von Herrn Elison, dass die Bedenken der DEVA-Sachverständigen zu den ballistischen Eigenschaften bleifreier Geschosse von „zu Ballistikexperten mutierten Naturschützern“ (wer ist damit gemeint?) vom Tisch gewischt wurden. Natürlich gab es kontroverse Diskussionen, in denen auch einige kritische Fragen gestellt wurden. Aber kein einziger Teilnehmer des Fachgesprächs hat der Notwendigkeit einer Abklärung des Abprallverhaltens bleifreier Geschosse widersprochen, niemand die Fragen der Sicherheit heruntergespielt. Und auch in dem ersten, von den Veranstaltern vorgelegten „Entwurf einer gemeinsamen Erklärung“ wird „eine möglichst baldige Ausschreibung zum vergleichenden Ablenkverhalten moderner Büchsengeschosse“ gefordert und die Verwendung bleifreier Munition in der Jagdausübung nach Klärung der Aspekte des Ablenkverhaltens befürwortet.
Eine Entstellung der Tatsachen findet sich in dem Beitrag von Herrn Elison in der Abbildungsunterschrift:
Der von den Veranstaltern überraschend vorgelegte Entwurf für eine gemeinsame Erklärung wurde von Vertretern der Jagd- und Naturschutzverbände, der Munitionsindustrie und der Fachpresse gründlich überarbeitet und mehrheitsfähig gemacht.“
Diese Aussage ist schlichtweg falsch – der Entwurf der Veranstalter fasste die Ergebnisse der Fachtagung und die sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen sehr ausgewogen zusammen und fand die Zustimmung der Mehrheit der Teilnehmer. Dieser Mehrheit gehörten übrigens auch zahlreiche aktive Jäger an. Lediglich eine kleine Gruppe von Teilnehmern, die gegen das Ziel eines Ausstiegs aus der bleihaltigen Munition deutliche Vorbehalte äußerte, lehnte den Entwurf kategorisch ab. Selbst der Vorschlag, „angesichts der vielen offenen Fragen zur bleifreien Munition“ völlig auf eine gemeinsame Erklärung zu verzichten, wurde aus dieser Gruppe unterbreitet. Der Wunsch der Veranstalter und Teilnehmer war es jedoch, eine „Gemeinsame Erklärung“ zu verabschieden, die von allen Teilnehmern mitgetragen wird. Also wurde der durchaus mehrheitsfähige Entwurf der Veranstalter mit dem Ziel überarbeitet, ihn kompromissfähig für alle zu machen. Das Ergebnis hinterließ bei zahlreichen Teilnehmern durchaus Unbehagen, welches in den persönlichen Abschlussstatements sehr deutlich zum Ausdruck gebracht wurde. Insbesondere die Absicht, den Ausstieg aus der bleihaltigen Büchsenmunition auf die „Lebensräume des Seeadlers“ zu begrenzen, fand nicht die Zustimmung der Mehrheit, wurde jedoch von der „bleifrei-kritischen“ Fraktion der Teilnehmer zur unverzichtbaren Bedingung für ihre Zustimmung zur Erklärung erhoben. 
Zum Abschluss sei mir noch eine Anmerkung gestattet: Auf der Titelseite der Zeitschrift „unsere Jagd“ stehen die Worte: „Partner der Natur“. Dies ist ein Anspruch, der einzulösen ist! Die Berichte zum Thema „Seeadler: Bleierne Feindbilder“ erfüllen diesen Anspruch nicht.

Christof Herrmann, Güstrow

 

18.05.2009 Bleifrei

Als Teilnehmer an der Veranstaltung des IZW am 16. und 17. April 2009 habe ich u.a. gelernt: Blei ist ein Umweltgift und wirkt toxisch u.a. auf Pflanzen, Tiere, Menschen und Mikroorganismen. Seeadler sind besonders prominente Opfer. Blei zeigt ausgeprägte Tendenz zur Anreicherung u.a. in Böden. In Deutschland verschießen Jäger pro Jahr ca. 120 000 kg Blei in Form von Büchsengeschossen und Schrot. Der überwiegende Anteil verbleibt akkumulierend im Ökosystem. Relativ geringe Mengen Blei als Geschossreste finden sich in den Körpern erlegter Tiere.

Jäger nehmen billigend in Kauf, dass Wildfleisch in Verkehr gebracht wird, das über die zulässige Höchstmenge hinaus Blei - kontaminiert und damit gesundheitsschädlich für Verbraucher sein kann.

Viele Jäger sind sehr wohl über die Bleiproblematik beim Verschießen jagdlicher Munition informiert. Sie sind bereit, bleifreie Munition zu verwenden, wenn sie als sicher zertifiziert ist. Es trifft also nicht zu, dass nur eine Minderheit von Jägern die Situation aufmerksam beobachtet, die Mehrheit hingegen uninformiert ist und keine Veranlassung sieht, eine Umstellung zu erwägen. Dies scheint lediglich die Interpretation einer Lobby zu sein, der wohl daran gelegen ist, den Prozess der Einführung bleifreier Munition hinauszuzögern.

Bleifreie Munition ist nach aktuellen Untersuchungsergebnissen und praktischen Erfahrungen - auch in den USA - eine verlässliche, tierschutzkonforme, umweltfreundliche und "gesündere" Alternative zu bleihaltigen Geschossen.

Bleifreie Geschosse sollen angeblich in erheblichem Ausmaß instabil fliegen, häufig abprallen und damit hohe Verletzungsgefahren für Menschen bergen. Diese Vermutung, die auf nur wenigen - wahrscheinlich drei - nicht vollständig geklärten Fällen beruht, führte völlig überraschend zum ministeriell verfügten Verbot der Verwendung bleifreier Munition in den landeseigenen Forstrevieren einiger Bundesländer und zu erheblicher Verunsicherung unter Jägern. Untersuchungen zur Klärung des Abprallverhaltens sollten 2008 umgehend aufgenommen werden. Zum Zeitpunkt der Konferenz im April 2009 war noch nicht einmal eine Ausschreibung erfolgt!

Den Verantwortlichen ist der Vorwurf nicht zu ersparen, dass sie, obwohl angeblich (Lebens-) Gefahr im Verzuge ist, nicht umgehend den zwingend notwendigen Schritt unternommen haben, ein komplettes Verbot bleifreier Munition bis zum Vorliegen klarer Daten zu verfügen. In diesem Zusammenhang sei angemerkt, dass meines Wissens für die seit vielen Jahrzehnten eingesetzte bleihaltige Munition derartige Untersuchungen nie für nötig erachtet wurden, obwohl sie zahlreiche Todesfälle und schwere Verletzungen bei Menschen verursacht hat. Es wäre nur logisch und konsequent, nun auch sie zu prüfen.

Es verblüfft, dass die Munitionsindustrie einerseits bleifreie Geschosse für "gefährlich" hält, andererseits jedoch, wie aus Internet - Angaben des IZW zu ersehen ist, in Deutschland gegenwärtig mehr als 300 verschiedene Patronensorten mit bleifreien Geschossen zum Kauf und damit auch zum Einsatz bei der Jagd anbietet. Das wiederum passt nun gar nicht zu einem Bericht der Märkischen Allgemeinen Zeitung vom 11.05.2009 zum jüngsten brandenburgischen Landesjägertag, in dem zu lesen ist: "Bleifreie Munition ist ...gefährlicher für den Menschen als für das Wild, auf das geschossen wird. Denn im Fall eines Fehlschusses mit bleifreier Munition ist die Gefahr, dass ein Querschläger den Schützen oder Unbeteiligte verletzt, größer als mit herkömmlichen Geschossen". Vermutlich wird hier ein Verbandsfunktionär oder Jagdpolitiker zitiert.

Dr. Günter Heidemann

27.04.2009
Erst einmal auch auf diesem Wege ein herzliches Dankeschön für diese von Ihnen federführend in Zusammenarbeit mit der FU Berlin durchgeführten drei Fachgespräche, die nicht professioneller hätten organisiert und moderiert werden können. Insbesondere haben die Referentinnen und Referenten überzeugt, die belastbare und m. E. nicht relativierbare Daten präsentieren konnten. Es ist mehr als unverständlich, dass gerade diese Ergebnisse nicht zu einer eindeutigeren Erklärung geführt haben. Die von mir ja selber eingeforderte "Abschlusserklärung" wird aber dem außerordentlichen Engagement der Doktorandinnen und Doktorranden nicht gerecht. Im Gegenteil, hiermit wurden Ergebnisse verwässert und die Befürchtungen des DJV und der DEVA untermauert, es wären immer noch nicht alle Risiken, die mit der bleifreien Jagd einhergehen, erschöpfend untersucht worden. Ich gestehe zu, dass im Gegensatz zu Ihnen wir als Praktiker hier eine eindeutigere Aussage pro "bleifreie Jagd" erwartet haben, da unsere Jägerinnen und Jäger uns jetzt fragen werden, inwieweit aufgrund der bekannten Daten jetzt die Verwendung bleifreier Munition für sie verpflichtend wird. Sie jedoch, sehr geehrter Herr Dr. Krone, haben hier eher eine "übergeordnete Botschaft" vor Augen, die von dem überwiegenden Teil der Fachgesprächsteilnehmer mitgetragen wird. Ich bin gespannt, ob die Intensität, Frequenz und die Qualität der Diskussion noch von Jägern in absehbarer Zeit mitbestimmt werden kann - insbesondere dann, wenn es um den Verbraucherschutz geht.
Vielen Dank für Ihre Bemühungen!

Mit freundlichen Grüßen
i.A. Eckehard G. Heisinger
Dipl-Forst-Ing.


20.04.2009
Der ÖJV hat intensiv an dem Dialogprozess des Forschungsvorhabens "Bleivergiftungen bei Seeadlern - Ursachen und Lösungsmöglichkeiten" teilgenommen und begrüßt diesen und die vielfältigen, stichhaltigen Ergebnisse der Untersuchungen. Bis auf die Frage des Abprallverhaltens aller Arten von Büchsengeschossen sehen wir sämtliche Aspekte der Verwendung bleifreier Munition hinreichend geprüft. Aufgrund der nachweisbaren Risiken hinsichtlich Artenschutz, Tierschutz und Verbraucherschutz ist die Abkehr von der Verwendung von Bleimunition unumgänglich und unverzüglich zu forcieren, die Produkthaftung der Hersteller ist zu berücksichtigen.

Mit freundlichen Grüßen
Elisabeth Emmert